Eine kurze Musikgeschichte von Grönland
Die grönländische Musikgeschichte beginnt lange bevor sie überhaupt von jemandem bemerkt werden konnte. Lange bevor in den arktischen Gebieten Wissen niedergeschrieben wurde, begann sie zu einem Zeitpunkt, für den Archäologie und Mythos unsere einzigen Wissensquellen darstellen. Zu dieser Zeit ereignete sich das Leben als ein Zusammenspiel (und manchmal ein Kampf) zwischen den Menschen, den Elementen und den gejagten Tieren. Man kann sich darüber wundern, dass die Menschen, die Grönland vor über 4.000 Jahren bewohnten, Zeit für Musik hatten. Aber wenn der Magen gefüllt war und die Gemeinschaft in den Zelten aus Tierhaut oder den Torfhütten zusammenrückte, wurde die Rahmentrommel, Qilaat, herausgeholt und zu einer Mischung aus Tanz, Gesang, Geschichtenerzählen und Musik geschlagen. Diese Trommeltechnik wird in vielfältigen Variationen von Sibirien bis Grönland praktiziert und stellt eine bis heute lebendige Tradition dar.
Es gibt keine Beweise dafür, dass die Nordmänner, ein Grönland vom 10. bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts bewohnendes Wikingervolk, eine bleibende Musikkultur mitbrachten. Als aber die Europäer begannen, Grönland zu bereisen, um in erster Linie Walfang zu betreiben, brachten sie die damalige Unterhaltungskultur in Form von Musik und Tanz mit. Die Walfänger handelten intensiv mit den Inuit und in diesem Kontext wurde auf den vorhandenen Instrumenten zum Tanz aufgespielt. Dabei lernten die Grönländer das europäische Repertoire kennen, das in die Tradition des Kalattuut umgedeutet wurde und in vielerlei Hinsicht anderen Volksmusik- und Tanztraditionen im Nordatlantik ähnelt, aber sich beispielsweise dadurch kennzeichnet, dass die Rhythmen schneller sind. Wenn Sie in Grönland auf ein Fest gehen, sollten Sie Ihre Tanzschuhe schnüren, weil Sie das Glück haben könnten, zu einer grönländischen Polka aufgefordert zu werden. Und da kann man sich nicht davonschleichen.
Als Dänemark 1721 mit der Missionierung und Kolonisierung von Westgrönland begann, wurden Trommeltanz und –gesang verdrängt. Stattdessen wurden Chor- und Kirchengesang eingeführt. Besonders die deutsche Brudergemeinde der Herrnhuter verstand es, Musik zur Verkündigung der Heiligen Schrift einzusetzen und hatte daher einen großen Einfluss auf die grönländische Chortradition. Etwas später komponierten auch grönländische Intellektuelle Chormusik, die ihren ganz eigenen Gesangsstil hat und weltweit Anerkennung findet.
Der dänische Staat setzte in Grönland bis zum Beginn des 2. Weltkriegs eine strenge Kolonisierungsstrategie durch, nach der Grönland relativ isoliert vom Rest der Welt blieb, auch wenn insbesondere in Westgrönland die Modernisierung Einzug erhielt. Grönländer hatten aber keinen freien Zugang zu westlicher Kultur, bis Nazideutschland 1940 Dänemark besetzte und man damit begann, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten, um das Land zu schützen und mit Gütern zu versorgen. Der 2. Weltkrieg führte dadurch für die Grönländer zu einem kulturellen Erwachen und als der Krieg endete, wünschten sie sich eine weitere Öffnung ihres Landes. 1953 endete Grönlands Status als Kolonie und das Land wurde zu Provinzen innerhalb Dänemarks erklärt. Jahre später entstand in der Bergbaustadt Qullissat in der Diskobucht ein grönländisches Country-Westerngenre, genannt Vaigat-Musik. In den 1960er Jahren gründeten sich die ersten grönländischen Rock-’n’-Roll-Bands, die in Kneipen und Versammlungshäusern insbesondere in der Hauptstadt Nuuk internationale Hits spielten.
In den 1970ern hielt die große Revolution namentlich durch die Band Sume Einzug in die grönländische Musik, ihre Mitglieder waren grönländische Studenten in Kopenhagen. Die Gruppe machte Rockmusik auf Grönländisch über grönländische Themen und unter Einbezug inuitischer Symbole. Damit verschaffte sie dem wachsenden Wunsch eines Grönlands unter grönländischer Souveränität Gehör, verwurzelt in der grönländischen Kultur. Diese Bestrebungen führten zur Einführung der grönländischen Selbstverwaltung 1979.
Seit Sume hat sich die grönländische Musik in viele verschiedene Richtungen bewegt, weiterhin sind die Verwendung der grönländischen Sprache, nationale Themen und inuitische Symbole weit verbreitet und zwar unabhängig davon, ob das musikalische Genre Rock, Rap oder Heavy Metal heißt. Einige Künstler haben Erfolg dabei gehabt, ein Publikum außerhalb Grönlands zu finden, allgemein kennzeichnet sich die grönländische Musikszene aber eher dadurch, sich in hohem Grad dem grönländischen Publikum zuzuwenden. Sie ist ein zusammenschweißendes Element für ein kleines Volk, das in riesigen Abständen über die größte Insel der Welt verstreut lebt.
Traditionelle Musik
Trommelgesang und -tanz
Die Winter sind in Grönland lang. Wenn das Boot an Land liegt und der Schnee sich meterhoch türmt, braucht es ein bisschen Ablenkung, um den Polarkoller zu umgehen. Heutzutage können wir uns unter der Bettdecke verkriechen und eine Serie bingewatchen, ein Geschmackserlebnis in einem Restaurant um die Ecke genießen oder ein Konzert an einer der zahlreichen Spielstätten des Landes besuchen. Wenn man aber vor 4.000 Jahren in Grönland lebte oder vielleicht auch nur vor 100 Jahren, waren die Möglichkeiten deutlich eingeschränkter. Deshalb wohl hat die Bevölkerung in Grönland schon immer Sinn für ablenkende Aktivitäten gezeigt. Eine dieser Aktivitäten ist der Trommelgesang und –tanz mit der grönländischen Rahmentrommel, Qilaat, als musikalischem Mittelpunkt.
Eine Qilaat besteht aus Holz- oder Knochenrahmen mit einem Griff, an den eine Haut aus Tierfell oder –haut gespannt ist. Wenn man auf der Trommel spielt, schlägt man von unten mit dem Katuaq (Trommelstock, der oft aus Rentiergeweih gefertigt wird) auf den Rahmen statt auf die Haut und erzeugt darüber einen hohen Ton, der auf dem Trommelfell Resonanz findet. Es gibt aber viele unterschiedliche Elemente im Trommelgesang und –tanz. Wie der Name andeutet, singen und tanzen die Interpreten gleichzeitig. Eine Aufführung kann häufig den Charakter eines Schauspiels haben, bei dem beispielsweise eine Sage gesungen wird, während die Handlung vom Interpreten illustriert wird. Ein anderes unterhaltsames Subgenre ist Uaajeerneq, der Maskentanz, der sowohl mit als auch ohne Qilaat dargeboten werden kann. Dabei verkleiden sich die Interpreten recht bizarr und führen vor ihrem Publikum einen traurigen oder mehrdeutigen Tanz auf.
In Grönland wird Qilaat traditionell von Solointerpreten aufgeführt. Es hat aber unterschiedliche Formen des Wettstreitens oder des Verhöhnens eines Gegners durch Trommelgesang und –tanz in Nord- und Ostgrönland gegeben, wo die Tradition am besten bewahrt wurde. Am bekanntesten ist der ostgrönländische Trommelkampf, der auch an ein zeitgenössisches Rap Battle erinnern könnte. Ein Trommelkampf konnte auch zum Spaß arrangiert werden, aber wenn er ernst gemeint war, forderte eine gekränkte Person ihren Widersacher zum Kampf mit Worten vor der Siedlungsgemeinschaft und Familie auf. Der Gegner durfte nur grinsend zuschauen, während er beschuldigt und verspottet wurde. Im Gegenzug gab ihm der Trommelkampf dann aber auch die Gelegenheit, auf die Anschuldigungen zu reagieren, womit der Trommelgesang als eine Form der Konfliktaustragung in einer Zeit funktionierte, wo Mord und Blutrache zu den Alternativen zählten.
Als sich die Missionen und die Kolonialisierung in Grönland ausbreiteten, waren Trommelgesang und –tanz als lebendige Traditionen vom Aussterben bedroht. Die Rahmentrommel war nämlich auch ein Instrument des grönländischen Schamanen, des Angakkoq, und wurde von den Missionaren daher als zum ,Heidentum’ zugehörig angesehen, das sie den Grönländern austreiben wollten. Mit der Grönlandisierung der 1970er stieg das Interesse für Trommelgesang und –tanz in Grönland wieder deutlich an. Heute finden sich zahlreiche junge Interpreten, die sowohl die traditionellen Gesänge fortführen, als auch den Rahmen der Tradition herausfordern.
Kalattuut
Kalattuut wird oft als ,grönländische Polka’ übersetzt, weil die Polka hier heutzutage der populärste Tanz ist. Tatsächlich wurde die Paartanzpolka in Europa erst in den 1840ern entwickelt. Als der englische Entdeckungsreisende John Davis von 1585-87 Grönland bereiste, war es also keine Polka, die seine mitgebrachten Musikanten spielten, sondern Jigs und schottische Reels, die in Reihen oder Quadrillen getanzt wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren europäische Walfänger regelmäßige Gäste an den westgrönländischen Küsten und sie trugen dazu bei, dass europäische Tänze, Musik und Instrumente in Grönland Einzug erhielten.
Wie alle andere Musik auch, die es über die Jahre nach Grönland geschafft hat, passten die Grönländer diese europäischen Tänze an ihren Geschmack an. Das Tempo wurde modifiziert und einige fließende Bewegungen, die vermutlich aus dem Trommelgesang und –tanz stammen, wurden in einige der Tänze eingeführt. Kalattuut erinnert auch an viele der Volkstanztraditionen, die man von anderen Orten, besonders aus Schottland und von den britischen Inseln, kennt. Wenn Sie mit diesen Tänzen vertraut sind, haben Sie beim Kalattuut große Vorteile. Sie könnten aber trotzdem etwa vom Tempo überrascht werden, da sich Trommeltanzelemente in diese Tradition eingeschlichen haben.
Kalattuut wird heutzutage zu festlichen Angelegenheiten als Vorführung oder in Vereinen getanzt. Die ursprünglich in diesem Genre verwendeten Instrumente waren Violine und Harmonika und man trifft diese immer noch an, wenn Kalattuut gespielt wird. Häufig sind es nun aber Keyboards oder One-Man-Bands, die diese Musik spielen. So oder so hat jeder grönländische Musiker mit einem Funken Anstand ein paar Nummern parat, falls das Publikum doch tanzen will – und zwar auf die grönländische Weise.
Chorgesang
Wenn sich in Grönland die Weihnachtszeit nähert und sich die Menschen in den Städten und Siedlungen zu den Weihnachtsgottesdiensten versammeln, so gibt es ein Kirchenlied, das einfach gesungen werden MUSS. Das ist Rasmus Berthelsens bekanntes und beliebtes „Guuterput Qutsinnermiu” (Unser Gott im Himmel). Am besten klingt diese Hymne, wenn sie in unfassbar ruhigem Tempo anklingt und der Gemeinde die Gelegenheit gibt, in den vierstimmigen Choral einzustimmen, den sie schon so oft mitgesungen haben. Es dürften dabei schon ein paar Tränen über die vergangene Zeit und die Menschen, die sie mit sich genommen hat, geflossen sein – aber auch, weil die Musik und der Augenblick in einer Weise schön sind, wie es nur schwer für jemanden zu erklären ist, der das nicht erlebt hat.
Wenn man „Guuterput Qutsinnermiu” an einem Tag im Dezember gehört hat, bekommt man auch ein Gefühl dafür, welche starke Tradition Kirchenlieder und Chorgesang in Grönland haben. Hier singt man mit, wenn gemeinsam gesungen wird, und das sehr gerne mehrstimmig. Der Gesangsstil in Rasmus Berthelsens Kirchenlied wird Inuttooq genannt und zeichnet sich durch Mehrstimmigkeit, eine Vorliebe fürs langsame Tempo, eine Tendenz in die Töne hineinzugleiten und ein dadurch eher tolerantes Verständnis für die Intonation aus. Der Klang ist fantastisch und unterscheidet sich deutlich von der europäischen Belcanto-Technik.
Diese Tradition findet ihren Ausgangspunkt in der Missionierungsphase Grönlands, die 1721 mit dem dänisch-norwegischen Missionar Hans Egede begann. Hans Egede und seine Familie erhielten bald Gesellschaft durch die Herrnhuter Mission, die sich gut mit dem dänischen König verstand, in der Realität aber eine konkurrierende Mission darstellte. Die Herrnhuter konzentrierten sich auf die emotionale Beziehung des Individuums zu Jesus und vielleicht kommt es daher, dass der grönländische Gesangsstil Inuttooq auch das Gefühl ins Zentrum stellt – über die präzise Intonation und den klaren Takt. In jedem Fall hatte die grönländische Chor- und Kirchenliedtradition ihren Ursprung im Aufeinandertreffen dieser beiden Missionen.
Beide Missionen waren protestantisch und übersetzten daher die europäischen Kirchenlieder ins Grönländische. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen auch grönländische Komponisten damit, Kirchenlieder und Volkslieder dem Repertoire hinzuzufügen. Einige von ihnen gehören heute zu den beliebtesten in Grönland und huldigen der grönländischen Landschaft und Natur. Somit haben sie auch dazu beigetragen, das Nationalgefühl im kolonialisierten Grönland zu stärken und waren musikalische Vorläufer der musikalischen wie politischen Revolution, die mit der Rockmusik der 1970er in Gang kam.
Popmusik
Vaigat-Musik
Was haben Grönland und Hawaii gemeinsam?
Ziemlich viel, wenn Sie sich die über die Saiten gleitende Slide Bar auf Jens Hendriksens Pedal-Steel-Gitarre in Grönlands erstem Genre der Populärmusik, der Vaigat-Musik, anhören. Trotz der tanzfreudigen Feel-Good-Vibes des Genres nimmt die Vaigat-Musik in Grönlands kollektivem Bewusstsein als Sound der Bergbaustadt Qullissat einen düsteren Platz ein, da diese 1972 von den Behörden geschlossen wurde. Die Bevölkerung der Stadt wurde in verschiedene Städte und Siedlungen umgesiedelt, viele von ihnen fühlten sich das restliche Leben über ihrer Heimat beraubt.
Die Vaigat-Musik entstand in den 1950ern und wurde nach der Vaigat-Meerenge zwischen der Nuussuaq-Halbinsel und der Diskoinsel benannt. Es ist kein Zufall, dass das Genre in Qullissat entstand. Die Stadt repräsentierte ein einzigartiges Beispiel für die Industrialisierung im Land. Hier arbeitete die Bevölkerung primär im Kohleabbau und nicht in den traditionellen Erwerbszweigen Jagd und Fischerei. Vielleicht bestand genau deshalb ein großes Bedürfnis nach Unterhaltungsangeboten für die Freizeitgestaltung. Das örtliche Orchester unter der Leitung von Jens Hendriksen sammelte Spenden, um die ersten Bandinstrumente in ganz Grönland kaufen zu können, zu denen die Pedal-Steel-Gitarre zählte, die in hohem Grad den Sound der Vaigat-Musik geprägt hat.
Die Vaigat-Musik bestand teilweise aus Interpretationen amerikanischer Country-Westernlieder, wie beispielsweise Andy Williams „A song of old Hawaii”, der auf Grönländisch zu „Hawaii” oder „Nuna Hawaii” (das Land Hawaii) wurde. Das Vaigat-Orchester veröffentlichte einige der frühesten Platten der grönländischen Musikgeschichte, das Genre wird auch weiterhin von einigen Künstlern praktiziert. Den Sandstrand vor Qullissat gibt es auch noch, womit man sich einfach einen Pullover überziehen, das Vaigat-Orchester in die Ohren stecken und die Eisberge vorbeiziehen sehen muss, während die Mitternachtssonne über der Diskobucht scheint. Mückenspray wird zusätzlich empfohlen.
Rock
The Eskimos
Sie haben bestimmt gehört, dass der Gebrauch des Worts ,Eskimo’ nicht mehr als politisch korrekt gilt. Das war aber nicht immer so. Als die Rockmusik in den 1960ern ihren Einzug nach Grönland fand, gab es die erfolgreiche Band The Eskimos, eine Gruppe Studierender aus Nuuk, die die bekanntesten internationalen Hits der damaligen Zeit wie „Mr. Twist” und „My Bonnie” spielte und sich von internationalen Superstars wie Cliff Richard, Elvis und The Beatles inspirieren ließ. Aber… wenn sie zum Dansemik (einer Tanzveranstaltung) im Gemeindezentrum aufspielen sollten, gab es am Kalattuut keinen Weg vorbei. Somit enthält die Diskografie von The Eskimos ca. 50% Kalattuut, aufgenommen auf Rock-’n’-Roll-Instrumenten.
Sume
Über grönländische Rockmusik kann man nicht sprechen, ohne die Band Sume zu erwähnen. Um deren Bedeutung für Grönland zu verstehen, hilft es, Parallelen zur internationalen Bedeutung der Beatles zu ziehen. Wie die Beatles hatte Sume zwei sehr unterschiedliche Leadsänger. Das kreative Feuerwerk der Band entzündete sich aus der Dynamik zwischen diesen Individuen und deren Zusammenarbeit mit der antiimperialistischen Bewegung in Kopenhagen in den 1970ern. Auf der einen Seite stand der politisch aktive und gesellschaftskritische Sänger und Gitarrist Malik Høegh und auf der anderen Seite der bürgerlich erzogene, musikalisch erfahrenere Per Berthelsen.
Über die 1970er erschufen Høegh und Berthelsen in Zusammenarbeit mit einer wechselnden Besetzung an Musikern drei der wichtigsten Platten der grönländischen Musikgeschichte. Sie schufen aber mehr als das. In einer Zeit, in der Grönland nach dänischem Vorbild modernisiert wurde, war Sume Gallionsfigur einer politischen und kulturellen Bewegung, die für die Wiedereinführung der grönländischen Kultur und Sprache kämpfte und die zur Einführung der Selbstverwaltung 1979 führte. Ihre Musik war auf Grönländisch. Sie handelte von grönländischer Kultur und Geschichte, verwendete kulturelle Symbole wie z.B. die Rahmentrommel und kritisierte den dänischen Einfluss in Grönland scharf. Mit ihr wurde der Weg für die Entwicklung einer Gesellschaft bereitet, die in hohem Maße nach Grönlands eigenen Prämissen geschaffen wurde – und auch für eine Rockmusik, die mehr war als nur die Kopie internationaler Trends.
Zikaza
In den 1980ern erlebte die grönländischsprachige Rockmusik dann ihre Blütezeit und viele der noch heute spielenden Ikonen starteten damals ihre Karrieren. Die äquilibristische Band Zikaza mit Siiva Fleischer als Frontmann lieferte 1988 mit „Miki Goes to Nuussuaq” eines der besten Alben der Geschichte. Der Finger wurde in Siiva Fleischers Liedern von Dänemark weggestreckt, Augen und Ohren wurden offen Richtung Welt gerichtet. Die Musik war auf Grönländisch und betonte humanitäre Ideale, die Gleichheit der Grönländer und aller Menschen und das Bedürfnis, in Frieden und gegenseitigem Respekt zu leben.
Ole Kristiansen
Jahre später kam noch ein Schwergewicht zur Musikgeschichte dazu, als Ole Kristiansens Debütalbum erschien. Mit erkennbarer Inspiration durch intellektuelle Künstler wie David Bowie und den dänischen Lars H.U.G. betrat er die grönländische Musikszene und wurde zu Grönlands düsterem und mystischem Poeten. Sein Können als Songwriter wird in ganz Grönland gepriesen und man wird lange suchen müssen, um jemanden zu finden, der seine Hits wie „Arnarulunnguaq”, „Zoo Inuillu” (Zoo und Menschen) und „Mannik” (Das Ei) nicht mitsingen kann. Ole Kristiansens Musik handelt vom inneren Universum des Menschen, die Natur bleibt als Bild für menschliche Gefühle und als Umgebung aber allgegenwärtig, in der man zur Existenz seines innersten Wesen findet.
Mariina
In den 1990ern gesellte sich die Gruppe Mariina mit Marina Schmidt als Frontfrau dazu und brachte eines der am besten verkauften Alben der Musikgeschichte heraus: „Utaqqivunga” (Ich warte). Obwohl Gitarrist und Sänger Hans Lange in der Band eine zentrale Position einnahm, prägte sich Mariina in der Rockmusik als die Band mit der Frontfrau ein und wurde zu einer bedeutenden Inspirationsquelle für den Aufstieg von Popmusik mit weiblicher Leadstimme in den 1990ern. Im Megahit der Gruppe, „Tupilak“, flocht die Band außerdem Elemente des Kehlgesanges ein und trug dazu bei, mehr Bewusstsein für diese inuitische Tradition zu schaffen, die aus dem zentralarktischen Kanada stammt.
Chilly Friday
Mit dem Jahrtausendwechsel gab die Gruppe Chilly Friday mit „Inuiaat 2000” (Menschenjahr 2000) ihren Einstand. Die internationalen Einflüsse der Band zeigten sich deutlich in der Vermischung englischer und grönländischer Texte auf der Platte, der Inspiration durch die Grunge-Welle und besonders Pearl Jam als deutlichen Vorbildern für Chilly Friday. Grönland war bereit für Grunge und Chilly Friday lieferte einige der bestverkauften Alben der 00er und gab die vollsten Konzerte.
2002 erhielt Chilly Friday Konkurrenz durch DDR (Disko Democratic Republik). Wie es der Name andeutet, war die Rede von einer Band aus der Diskobucht. DDRs Musik war im Vergleich zu der von Chilly Friday etwas sanfter, die Band sang zudem ausschließlich auf Grönländisch. Zumindest bis der dänische Musikproduzent Henrik Marstal die Band dazu einlud, den Protestsong „Kap Farvel til Ümanarssuaq” der dänischen Musiklegende Kim Larsen für das Album „Protestsange.dk” neu einzuspielen, das 2006 herauskam. Auch wenn der Songtext von Kim Larsen stammte, hatte es einen gewissen Effekt in Dänemark, als plötzlich eine grönländische Band das sang: „Das ist der weiße Mann. Schick ihn heim!…”
Liima Inui
Die direkte Kritik am dänischen Einfluss in Grönland hatte in der grönländischen Rockmusik seit Sume in den 1970ern an Bedeutung verloren. Die Band Liima Inui (Limas Volk) nahm aber die Beziehung zu Dänemark mit ihrem Album Republik 2009 wieder in den Blickpunkt, als Grönland die erweiterte Selbstverwaltung erhielt. Liima Inui hatte sich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon einen Namen gemacht, der bis in die Mitte der 1990er zurückreichte. Mit dem Album Pluto von 2007 aber, auf dem Randi Brobergs Stimme Leadgesang wird und der Gitarrenvirtuose Viila Sandgreen zur Band hinzustößt, fanden die Konzerte der Band großen Zulauf und die Alben verkauften sich in Grönland mit am besten.
Nanook
2009 war auch das Jahr, indem die Band Nanook ihr Debütalbum „Seqinitta qinngorpaatit” (Unsere Sonne scheint auf dich) veröffentlichte, welches die Band schnell in Grönland bekannt machte. Mit den Brüdern Christian und Frederik Elsner als Frontmännern und einer detailreichen Soundlandschaft, die ihre Inspiration u.a. bei der isländischen Post-Rockgruppe Sigur Rós findet, hat die Band seitdem international Aufmerksamkeit erregt und ist etwa die erste grönländische Band, deren Musik in Japan erschienen ist.
Small Time Giants
Die Small Time Giants sind noch mehr im Genre Post-Rock verankert, als es Nanook sind. Sie sind ein Kapitel für sich. Die Band fordert die Konventionen für Live-Konzerte in Grönland heraus, indem sie die Grenze zwischen Bühne und Publikum durchbricht. Darüber hinaus sind die Texte der Band fast ausnahmslos in englischer Sprache, was in Grönland seit Sume ein Tabu war. Nichtsdestotrotz haben die Small Time Giants in Grönland ein großes Publikum gefunden und zudem auch Konzerte in den USA, in Nordeuropa und Deutschland gespielt.
Pop
Die Kluft zwischen Pop- und Rockmusik verläuft in Grönland wie an vielen anderen Orten der Welt auch ziemlich fließend. Viele musikalische Ausformungen bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen den beiden Genres. In Grönland bevorzugen es die meisten Musiker aber, der Rockmusik statt der Popmusik zugerechnet zu werden. Es gibt aber auch eine Tendenz, wonach sich Solokünstler eher in Richtung Popgenres entwickeln, als es Bands tun.
Über einen längeren Zeitraum wurde in Grönland zunächst Popmusik verschiedener Prägungen auch unter Bandnamen veröffentlicht. In den frühen Jahren der Populärmusik geschah dies hauptsächlich in Form der Suassat-Musik wie bei Jens’ Trio. Dieses Genre lebt erfolgreich mit Namen wie Enok Poulsen und Suernerit (Wind) weiter. Sume-Frontmann Per Berthelsen lieferte außerdem in den 1980ern gemeinsam mit seiner Schwester Birthe Olsen eine Reihe bekannter und beliebter Folk-Popalben ab, nachdem er zurück nach Grönland gezogen war und sich Sume zwischenzeitlich aufgelöst hatte.
Zedna
Einen Meilenstein der neueren grönländischen Popmusik stellt das Album Zedna von 2000 dar, an dem eine illustre Reihe der heute beliebtesten Popsänger Grönlands mitwirkte. Besonders ragten Nina Kreutzmann und Julie Berthelsen hervor, die sich zu den ganz großen Stimmen Grönlands entwickelten.
Julie Berthelsen
Julie Berthelsen baute sich ihre Musikkarriere in erster Linie in Dänemark auf. Nachdem sie 2002 an der dänischen Talentshow Popstars teilgenommen hatte, wurde sie zu einer der am stärksten gehypten Künstlerinnen der dänischen Popmusik. Ihr Debütalbum „Home“ schaffte es auf Platz 1 der dänischen Charts. Seitdem hat sie zahlreiche Alben veröffentlicht und ist weiterhin ein bekanntes Gesicht des dänischen Fernsehens.
Nina Kreutzmann hat sich bereits Ende der 90er-Jahre als Leadsängerin der Gruppe Qulleq (Tranlampe) einen Namen gemacht. Nachdem sie als Chorsängerin mit der Isländerin Björk auf Welttournee war, begann sie 2003 ihr Soloalbum „Eqqissineq” (Ruhe) einzuspielen, es sollte aber 5 Jahre dauern, bis das Album fertig wurde. Als „Eqqissineq” es damals endlich in die grönländischen Regale schaffte, wurde das Album zum großen Verkaufsschlager seiner Zeit. Das Album versammelte eine Mischung aus Neuinterpretationen bekannter Künstler und brandneuen Kompositionen. Insbesondere Siiva Fleischers kosmopolitische Nationalhymne „Silarsuaq takuiuuk” (Hast du die Welt gesehen?) erwachte in Nina Kreutzmanns Interpretation zu neuem Leben.
Nina Kreutzmann hätte nach „Eqqissineq” ein weiteres grönländischsprachiges Album gestalten können, entschied sich als unabhängige und reflektierte Künstlerin aber dafür, ein selbstkomponiertes Album auf Dänisch unter dem Titel „Hun står i nordenvind” (Sie steht im Nordwind) zu veröffentlichen, um damit zur Sichtbarkeit dänischsprachiger Grönländer beizutragen. Das Album verkaufte sich nicht so gut, der dazugehörige Erzählungsband unter gleichem Namen erhielt aber hervorragende Kritiken und unterstrich Nina Kreutzmanns Potenzial als Schriftstellerin.
Nina und Julie sind seit ihrer Schulzeit in Nuuk miteinander befreundet und teilten schon damals ihr Interesse für die Musik. Auch wenn sich ihre musikalischen Laufbahnen trennten, weil Julie in Dänemark bekannt wurde und Nina ihre Karriere in Grönland fortsetzte, haben sich die Freundinnen gelegentlich zusammengetan, um zu zeigen, was sie gemeinsam erreichen können. Dies geschah beispielsweise, als sie 2010 gemeinsam mit einem Chor aus Grönland den Chorwettbewerb AllStars im dänischen Fernsehen gewannen. 2019 taten sie sich wieder für ein Projekt zusammen und nahmen am „Dansk Melodi Grand Prix” (Dänische Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest) mit dem Lied „League of Light” teil. Nina und Julie schafften es bis ins dänische Finale und erhielten die meisten Zuschauerstimmen, die dänische Jury entschied sich aber stattdessen dafür, das Lied „Love is forever” zum Eurovision zu senden.
Kimmernaq Kjeldsen
Auf die Liste bekannter grönländischer Sängerinnen gehört auch Kimmernaq Kjeldsen, obwohl sie ausgebildete Schauspielerin ist und keine große Musikerfahrung hatte, als sie mit ihrer Freundin und Songwriterin Pilu Lynge ins Studio ging, um das Album „Tunissut” (Die Gabe) einzuspielen. Das Album wurde bei seinem Erscheinen 2007 zu einem großen Erfolg. Auf dem Nachfolger „Uani” (Hier) von 2013 tat sich Kimmernaq mit dem Songwriter Frederik Elsner zusammen und schaffte es erneut, ein starkes Album zu liefern.
Nick Ørbæk
Nick Ørbæk gehört zu den neueren Namen der grönländischen Popszene. Er steht hier einsam unter den größtenteils weiblichen Künstlerinnen. Nick Ørbæk schafft es aber aus vielfältigen Gründen, für Begeisterung zu sorgen. Lasst uns direkt die Karten auf den Tisch legen… Nick Ørbæk ist blond, aber ja… er ist Grönländer, denn so können Grönländer eben auch aussehen. Außerdem ist er ein fantastischer Sänger mit fast femininem Klang in der Stimme, die viele seiner Hörer überraschte, als er mit seinem tanzbaren Soloalbum „Saappara” (Ich kehre mich um) 2018 herauskam, nachdem er schon aus einer Reihe aufstrebender Namen des härteren Rockgenres bekannt war.
Inuk
Inuk ist die Popband, die der These widerspricht, dass Pop nur von Solokünstlern gemacht wird. Die Band gab bereits 2008 ihr Debütalbum heraus, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. Das schaffte dann erst der Nachfolger „Aanngalerneq” (Im Verschwinden), der erst sieben Jahre später erschien. Mit minimalem Produktionsaufwand, komplexen Akkordreihungen, einer samtweichen Stimme und einer wirklich gut aufspielenden Band im Rücken schaffte Leadsänger Inunnguaq Petrussen den modernen Evergreen „Oqaluttuannguaq” (Eine kleine Erzählung). Auf dem dritten Album der Band, „Qalipaatit” (Farben) von 2018, erhielt sein kleiner Bruder Gustav Petrussen einen prominenteren Platz in der Band, während diese ihren analogen Popsound beibehielt, der deutlich Inspirationen aus der Folkmusik aufnimmt.
Folk

Heute lebt die Folkmusik in Grönland vor allen Dingen als verbindendes Genre weiter. Viele Bands bedienen sich gerne des Stils, ohne ausschließlich Folkmusik zu machen. F, das Soloprojekt von Nanook-Frontmann Frederik Elsner, flirtet beispielsweise heftig mit dem Genre. Die international erfolgreiche Gruppe Nive and the Deer Children wird oft als Indie-Folk bezeichnet und es ist wohl kein Zufall, dass Nive Nielsens Vater Kasper Skifte auf den Aasivik-Platten häufig mit verschiedenen Folkgruppen zu hören war.
Rasmus Lyberth
Rasmus Lyberths Musik ist für viele der Klang grönländischer Musik schlechthin. Seine großartige Stimme und fantastische Bühnenpräsenz haben es geschafft, die sprachliche Barriere zu überwinden, welche die grönländische Sprache für Hörer oft innehat. Deshalb ist es auch sehr interessant, dass Rasmus Lyberths vom Folk inspirierter Stil in der gesamten grönländischen Musikszene gar nicht so einen großen Platz einnimmt, wo Pop und Rock als Genres eindeutig dominieren.
Rasmus Lyberth hat aber sehr wohl Mitstreiter gefunden. Als er mit seinem Debütalbum „Erningaa” (Mein Sohn) 1975 herauskam, war Juaaka Lyberth ebenfalls in eine Reihe musikalischer Kollaborationen involviert, u.a. bei den politischen und kulturellen Aasivik-Zusammenkünften, wo die Folkmusik auch von anderen Künstlern gepflegt wurde.
Nive Nielsen
Rasmus Lyberth ist auch heute noch als produzierender und auftretender Musiker aktiv. Nive Nielsen tourt in Kanada, Europa, Asien und den USA mit The Deer Children, wenn sie nicht zu beschäftigt damit ist, als Schauspielerin in großen internationalen Produktionen wie AMCs gruselig-grausamer Serie The Terror aufzutreten, wo sie die weibliche Hauptrolle spielt, oder im Disneyfilm Togo. Das Folkgenre ist daher im internationalen Bewusstsein stark mit grönländischer Musik assoziiert, auch wenn das in der grönländischen Musikszene selbst deutlich weniger der Fall ist.
Rap
Nuuk Posse
Die Hip-Hop-Kultur mit ihrer Ausdrucksform Rap ist in der ganzen Welt zur Stimme marginalisierter Bevölkerungsgruppen geworden. So ist es auch heute in Grönland. Mittlerweile hat der grönländische Rap ziemlich alle sozialen Schichten durchdrungen, seit die erste grönländische Rap-Gruppe Nuuk Posse in den 1990ern mit dieser Musikform durchstartete, nachdem Gruppenmitglieder schon lange die Hip-Hop-Kultur gepflegt hatten. Ergebnis dieser Zeit war eine leicht humoristische Rap-Musik, die Grönländisch, Dänisch und Englisch vermischte und mit Konzerten in Europa und Kanada Grönland auf der Weltkarte des Raps einzeichnete. Bis heute gibt es nur wenige Namen innerhalb dieses Genres, wenn überhaupt welche, die ein ähnlich großes Publikum wie bei Nuuk Posse versammeln können. Auch wenn die Fans der Gruppe erwachsen geworden sind, können sie immer noch zu Hits wie „Qitik” (Tanz) und „Inupiluaqqat” (Kleine Ganoven) mitjohlen.
Prussic
In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Rap-Musik in Grönland verstärkt zu einem Teil der Subkultur und setzte neue Standards dafür, was man durch Musik ausdrücken kann. Insbesondere die Gruppe Prussic entwickelte sich zur Speerspitze dieser Bewegung. Sie kritisierten ihre Eltern hart für Vernachlässigungen in der Fürsorge und brachten damit einen wichtigen Stein ins Rollen, um diese Themen in einer Gesellschaft aufzuarbeiten, in der unangenehme Themen traditionell nicht ausgesprochen wurden.
Tarrak
Seitdem Computer, Internet, Sampling-Programme und Smartphones in Grönland zur privaten Standardausrüstung zählen, ist die Produktion von Rap-Musik in die Höhe geschnellt. Nur ein Bruchteil dieser Musik reicht deutlich über das engste Umfeld der Interpreten hinaus, eines der aktuellen Erfolgsbeispiele ist der Rapper Tarrak. Tarrak ist heute der wichtigste Künstler der dritten Welle des grönländischen Raps, die aus dem Studio des Produzenten Uyarakq entspringt und teilweise auch auf die Zusammenarbeit mit dem erfahreneren Rapper Peand-eL setzt. Tarrak legt den Finger in viele Wunden: Er zeigt auf Dänen, grönländische Politiker und verantwortungslose Eltern. Gleichzeitig versucht er sich auch daran, an dem Wiederfinden einer Inuit-Identität mitzuwirken, die in ihrer Begegnung von Tradition und Moderne einen dritten Weg einschlagen will. In dieser Form kombiniert er die Tendenzen grönländischer Rap-Musik und die im Allgemeinen in der grönländischen Musik behandelten politischen Themen miteinander. Und das macht er ziemlich gut.
Heavy Metal
In Grönland sagt man, dass je weiter man nach Norden geht, die Musik immer härter wird. Wenn Sie hier aber eine harte Metal-Szene wie Black Metal in Norwegen oder Viking Metal auf den Färöern erwarten, wird Grönland Sie enttäuschen. Musik hat hier wohl in so einem großen Maße die Funktion, Gemeinschaftsgefühle zu schaffen, dass Nischenprodukte nur einen sehr kleinen Raum einnehmen können und wir müssen wohl einsehen,… dass Heavy Metal nicht für jeden etwas ist. Trotzdem hat das Land ein paar Underground-Gruppen aus u.a. den Richtungen Heavy, Punk und Nü Metal zu bieten. Ein paar wenige unter ihnen haben nationale Anerkennung gefunden, größere Konzerte gespielt und Alben herausgegeben.
Siissisoq
Flaggschiff dieses Genres ist in Grönland die Gruppe Siissisoq (Nashorn). Die Band durchbrach 1994 die Schallmauer mit einem auf Riffs basierenden Heavy-Rock-Album über die Tiere Afrikas. Auch wenn ihre Musik offensichtlich viel Humor hat, besteht die Gruppe aus einer Handvoll seriöser und professioneller Musiker aus Uummannaq in Nordgrönland, die trotz der daraus entstehenden logistischen Herausforderungen ihre Basis in diesem doch sehr abgelegenen Teil Grönlands behalten hat.
Pukuut, X-it, I124Q, Arctic Spirits
Ebenfalls in Uummannaq und der Gegend um die noch etwas nördlichere Stadt Upernavik trifft man auf die Mitglieder der Gruppen Pukuut (Haferflocken), X-it und I124Q (einfach auf Englisch aussprechen!), die eine gewisse Überschneidung innerhalb ihrer Bandbesetzungen haben. Reisen wir ein bisschen weiter gen Süden zur Diskobucht, treffen wir auf die Arctic Spirits aus Qeqertarsuaq, die innerhalb der letzten 10 Jahre eine Reihe wuchtiger Heavy-Alben herausgegeben haben.
Uummat, Malik
Machen wir uns noch weiter gen Süden in Grönland auf, treffen wir auf Pop-Punk wie Uummat aus Aasiaat oder den schweren Grunge aus Nuuk von Malik (Kleist), dem früheren Leadsänger von Chilly Friday. Die bekannten Heavy Bands kommen aber aus Nordgrönland. Es ist also wahrscheinlich doch etwas dran an dem, was man so sagt.
Elektronische Musik
In Grönland hat die elektronische Musik noch keine lange Tradition. Der legendäre Ole Kristiansen begann seinen Flirt mit dem Genre Mitte der 1980er Jahre, sonst finden sich nur sporadische Veröffentlichungen, die das Genre in Grönland repräsentiert haben: etwa das schöne, aber fast vergessene Electronica-Album Sialuit (mit G-60-Keyboard) von Aqqa aus dem Jahre 1986 oder das Dance-Album Nanu Disco von 1998.
Uyarakq
In den letzten Jahren konnte die elektronische Musik aber ein paar prominente Interpreten in der grönländischen Musikszene dazugewinnen. DJ Uyarakq hat in den letzten Jahren zahlreiche Titel über die digitalen Plattformen wie Spotify und Soundcloud veröffentlicht. Genremäßig hat sich die Musik von Dub Step hin zu House entwickelt. Uyarakq ist nebenbei auch in der grönländischen Hip-Hop-Szene durch die Zusammenarbeit mit u.a. dem Rapper Peand-eL und der neuen Hoffnung des grönländischen Raps, Tarrak, aktiv geworden. Uyarakqs elektronisches Know-how und sein Zugang zum Sampling bekannter grönländischer Hits haben in dieser Zusammenarbeit den grönländischen Rap revolutioniert. Uyarakq ist gleichzeitig ein gern provozierender, aber auch sehr humorvoller Künstler. In seinen kollaborativen Musikprojekten fordert er von Geschlechternormen bis zur Geschichtsschreibung Grönlands so ziemlich alles heraus.
Da Bartali Crew
Im Kielwasser einer Reihe von Festivals in Nuuk, die sich dem musikalischen Underground und insbesondere der elektronischen Musik verschrieben hatten, entstand ein wichtiger Name der Musikszene: Da Bartali Crew. Hinter dem Namen steht der Veranstaltungstechniker Hans Ole Amossen, der in Zusammenarbeit mit Ole Mørch, Kasper Mathiesen und einer Reihe weiterer grönländischer Musiker, Sänger und Rapper zahlreiche größere Konzerte in ganz Grönland organisiert hat, die für ein Nischengenre wie die elektronische Musik als Durchbruch gelten können. Genremäßig bewegt sich Da Bartali Crew vielseitig innerhalb der elektronischen Subgenres und flirtet gerne mit dem Rap. In den Zwischentönen von Da Bartali Crews Musik lassen sich aber durchaus auch Inspirationen durch die französischen House-Ikonen Daft Punk aufspüren.
Musik live erleben
In der grönländischen Musik steht die Gemeinschaft im Zentrum und mit ihr das Gefühl, ein musikalisches Erlebnis miteinander zu teilen. Wenn Sie diese Musik auch einmal so erleben möchten, wie sie am besten zum Tragen kommt, dann bieten sich mehrere wirklich gute Festivals in Grönland dafür an.
Das älteste Musikfestival des Landes, das Nipiaa Rock Festival, findet jedes Jahr Ende August in Aasiaat nahe der Diskobucht statt. Das Festival widmet sich primär der grönländischen Rockmusik und bietet 2 Tage lang Party und Headbanging zu einigen der bekanntesten Künstler des Landes an.
In Sisimiut am Polarkreis hat das Musikfestival Arctic Sounds eine vielfältige Mischung aus aufstrebenden nordischen Künstlern im Angebot. Mit dem Programm aus Workshops und Pop-Up-Konzerten präsentiert sich Arctic Sounds zudem als ein völlig andersartiges Festival innerhalb Grönlands. Saisonmäßig fällt das Festival mitten in den arktischen Frühling. Deshalb lässt sich ein Besuch beim Arctic Sounds gut mit Hundeschlitten- oder Schneescootertouren verbinden und nicht zuletzt auch als festlicher Abschluss der Teilnahme am Skilanglaufrennen Arctic Circle Race planen. Wenn Sie also dabei sein wollen, wenn die neuesten Phänomene in der grönländischen oder nordischen Musikszene entdeckt werden, ist das Arctic Sounds der perfekte Ort dafür. Einige der schon bekannteren grönländischen Künstler kommen üblicherweise auch vorbei und spielen Konzerte.
In Grönlands Hauptstadt Nuuk finden an jedem Wochenende Konzerte statt. Wenn Sie aber gerne die Höhepunkte von dem erleben wollen, was die grönländische Musikszene aktuell zu bieten hat, ist das Akisuanerit Festival eine sichere Bank. Jedes Jahr Anfang Oktober versammeln sich bekannte ältere und jüngere Namen der Musikszene zu einem dreitägigen Musikfest in Grönlands schönem Kulturzentrum Katuaq. Zudem lädt das Festival in jedem Jahr einige international bekannte Künstler nach Grönland ein. Für diejenigen, die lieber etwas konzentrierter einem Konzert zuhören, als dabei zu feiern und zu tanzen, endet Akisuanerit mit einem stimmungsvollen Sonntagskonzert, wo eine Auswahl der Festivalhöhepunkte vor einem fürs Publikum bestuhlten Saal dargeboten wird.
Auch wenn Sie nicht unbedingt auf der Suche nach Festivals sind, bieten sich Ihnen viele Möglichkeiten, Grönlands Musikszene live zu erleben. Halten Sie die Augen offen für Konzerte in Bars, Kulturzentren oder in der Kirche vor Ort. Hier finden Sie vom Trommelgesang und –tanz bis hin zur elektronischen Musik regelmäßig so ziemlich alles vor, was Ihnen vielleicht das wunderbarste musikalische Erlebnis bereiten könnte.
Wiedergabelisten
Musik aus Grönland hat sich nicht – wie in manch anderem Land – völlig ins Digitale verschoben. Man findet zwar viele Künstler auch auf iTunes, aber bei einer Einwohnerzahl von ca. 56.000, wo viele Leute weiterhin gerne CDs oder Schallplatten sammeln, ist der Streamingmarkt für grönländische Musik außer für die Vermarktung und Bekanntmachung der Künstler nicht so interessant. Die jüngeren Namen aus den Subgenres veröffentlichen dennoch fleißig auf beispielsweise Spotify und die etablierten Namen geben dort einzelne Titel oder ausgewählte Alben heraus. Auf YouTube kann man natürlich ebenfalls Musikvideos von grönländischen Künstlern finden, ältere Musik ist in Form mehr oder weniger legaler Uploads durch Fans zur Verfügung gestellt wurden.
Youtube
- Kalaallit – Music from Greenland, Nick Lorentzen
- A1 Grønlandsk musik 😀, von Cybersprite 2008
- Kalaallit nipilersuutaat, von Karla Kreutzmann
- Grønlandsk musik, von Filip Hagelskjær
- Kalaallit Nipilersugaat, von Andreas Erngsen
Spotify
- Kalaallit, von Angutinnguaq Josva Poulsen
- Kalaallit nipilersortut, von Aká Bendtsen
- Kalaallit musik NBM, von Naja BM
- Kalaall, von Marie Geisler Kielsen
Artikel von Andreas Otte
Andreas Otte ist Lehrer, Professor und Autor in den Bereichen Musik in Grönland, Globalisation und Heimatverbundenheit. Er promovierte an der University of Copenhagen mit der Dissertation „Pop Musik aus Grönland“ (2014) und ist außerdem Bassist der Band Nanook.