Als dann der Pilot den Landeanflug beginnt, ergibt es doch langsam Sinn. Abseits des Eisfeldes und der Bergkette sehe ich vor allen Dingen tiefe Fjorde und eine geschwungene Küstenlinie. Eine größtenteils grüne Landschaft, in der das Gras die Hügel und Berge bedeckt. In der Ferne sehe ich einen Wasserfall eine Granitwand hinunterlaufen. Ein blauer Gletscherfluss mündet in den Ozean. Ich bin in Südgrönland angekommen. In der kommenden Woche werde ich die spektakulärsten Aussichtspunkte der Region mit der Hilfe von Salik Frederiksen entdecken, dem Mitgründer des Reiseanbieters Tasermiut Camp.
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Immer noch vom Helikopterflug aufgeregt, treffe ich Salik in Nanortalik, der südlichsten Stadt in Grönland. In den letzten 40 Minuten habe ich die spektakulärste Landschaft vorbeigleiten sehen – und das ist nur der Beginn meiner Reise. Salik ist ebenfalls enthusiastisch – er möchte mich in der Region herumführen. Erster Halt: Nanortalik und seine Insel. Nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel wandern wir auf den kleinen Berg Qaqqarsuasik. Ich frage mich laut, welche Art von Ausblick wohl an der Spitze wartet und Salik antwortet: „Warte und schau, das ist es wert.“ Ungefähr eine Stunde später wird mir klar, dass ich Salik vertrauen kann. Ich überschaue Wolken am Horizont, die an den steilen Kliffs von Grönland abdriften. Auch wenn wir nur auf 559 Metern sind, fühle ich mich wie auf dem Gipfel der Welt. Salik: „Bei klarem Wetter siehst du ausschließlich den Ozean. Das ist sehr friedvoll. Direkt unter den Kliffs befinden sich kleine Inseln. Unsere einheimischen Fischer campen oft einige Tage dort, um frischen Fisch und Robben zu fangen.“ Zusätzlich habe ich einen guten Blick auf Nanortalik selbst: Die Häuser tauchen die Landschaft in bunte Farben.
Am nächsten Tag nimmt mich Salik mit ins Nanortalik Museum. Er erklärt: „Um Südgrönland zu verstehen, musst du etwas über seine Geschichte und Kultur lernen. Ein Besuch in diesem Museum ist ein absolutes Muss.“ Das Museum befindet sich im alten Stadtviertel von Nanortalik und setzt sich aus einem Dutzend kleiner Häuser zusammen. Der Museumsführer David erklärt, dass früher jedes Haus einen bestimmten Zweck hatte. Die nächsten beiden Stunden höre ich staunend zu. Ich erfahre vom ersten Krankenhaus, dem Kajak, dem Frauenboot und dem Walfang. Mit etwa 60 Jahren Lebenserfahrung erinnert sich David noch daran, wie die Wale im Hafen an Land gezogen wurden. Das ganze Dorf half dabei, da starke Leute gebraucht wurden, um das Tier an Land zu ziehen. Dann wurde der Wal in den kleinen Häusern verarbeitet. David zeigt mir, wo sie den Tran entnommen haben, wie das Fleisch zubereitet und wie die Haut für Werkzeug und Kleidung verwendet wurde.
Am Nachmittag reisen wir nach Uunartoq. Auf Grönländisch bedeutet uunartoq „warmes Wasser“. Sehr zutreffend, da Uunartoq eine Insel mit natürlichen warmen Quellen ist. Während unserer zweistündigen Bootstour konzentriere ich mich auf den Ozean und hoffe, einen Wal zu sichten. Leider habe ich an diesem Tag kein Glück – sie befinden sich wohl auf ihren eigenen Abenteuern. Die Aussichten entlang des Weges enttäuschen aber trotzdem nicht. Wir passieren kleine, verlassene Siedlungen; die weißen Gipfel der Eisberge treiben im Wasser vorbei. Einige sind meterhoch. Als wir in Uunartoq ankommen, springe ich so schnell wie möglich in die heiße Quelle. Mücken schwirren um die Badestelle und ich möchte lieber nicht zu deren Zielscheibe werden. In der Entfernung füllt sich der Horizont wieder mit Bergen. Einige Momente später ruft Salik: „Abendessen ist fertig.“ Garnelen mit Toast und Suppe warten, gewürzt mit Kräutern aus der Region. Salik zeigt mir grönländischen Thymian: „Ich freue mich auf die späteren Sommermonate, wenn hier überall Kräuter wachsen.“
Am nächsten Tag steht unser Campingausflug an. Salik nimmt mich mit in den Tasermiut-Fjord. Wir haben einen ordentlichen Bootstrip vor uns, da der Fjord über 70 Kilometer lang ist. Die Gegend ist für ihre natürliche Schönheit bekannt und wird auch als grönländische Version von Patagonien bezeichnet. Als ich schon beim ersten Berg meine Aufregung nicht eindämmen kann, sagt Salik: „Das ist nur der Anfang.“ Natürlich hat er wieder recht. Je weiter der Kapitän uns bringt, desto steiler werden die Berge. Jedes Mal wenn ich denke, den schönsten Berg entdeckt zu haben, folgt schon ein noch spektakulärerer Ausblick. Es sieht fast so aus, als wenn die Berge vertikal aus dem Wasser aufsteigen würden. Salik: „Tasermiut ist unter Kletterern sehr bekannt – die Granitwände sind ein Paradies für Kletterer.“
Am weitesten Punkt des Fjordes wartet ein Gletscher auf uns. Aufgrund der zwei Felsen auf beiden Seiten wird er auch Teufelsohr genannt. Trotzdem sieht an dieser Aussicht nichts teuflisch aus. Abgesehen vom den Gletscher hinunterfließenden Wasser, das ich höre, und den gegen das Land krachenden Wellen, herrscht hier komplette Stille. Es ist selten, an einem so schönen und friedvollen Reiseziel ganz ohne andere Touristen zu sein. Wir haben den ganzen Ausblick und Fjord tatsächlich für uns. Das ist eine surreale Erfahrung. Ich kann es einfach nicht mit etwas anderem vergleichen, das ich jemals gesehen habe.
Der Kapitän gibt uns ein Zeichen: Zeit zurückzufahren. Aber nicht bis Nanortalik, Salik hat auf dem halben Weg im Fjord ein Lager für uns vorbereitet.
Als das Lager aufgebaut ist, sagt Salik: „Nimm einen warmen Pullover mit, wir wandern zu einem See ganz in der Nähe.“ Dies sei ein perfekter Ort zum Kochen. „Und“, fügt Salik hinzu, „von hier haben wir einen guten Blick auf den Sonnenuntergang.“ Sag nicht mehr, Salik, ich komme! Nachdem wir Feuer gemacht, Gemüse geschnippelt und einen Topf Wasser gekocht haben, gesteht Salik etwas. „Du wolltest doch die grönländische Küche ausprobieren, oder? Da habe ich eine Überraschung… ich habe Lammköpfe mitgebracht.“ Entsprechend der vielen Schaffarmen in Südgrönland ist das ein regionaler Snack. „Und eines meiner Lieblingsessen“, führt Salik fort. Es ist natürlich eine ziemliche Überraschung, aber ich freue mich darüber, die volle Dosis Grönland zu bekommen. Während des Kochens sehen die Köpfe allmählich ganz lecker aus. Die Haut wird knusprig und die grönländische Mentalität (keine Eile, nimm dir Zeit) lässt meine Vorfreude ansteigen. Schließlich entpuppt sich das Essen als köstlich. Mit Ausnahme der Gehirne, von denen Salik gar nicht genug bekommt.
Währenddessen färben sich die Berge orange und rot, der Himmel ist nun lila. Die Sonne verschwindet hinter den Bergen. Als wir unser letztes Bier austrinken, entscheiden wir uns, zurück zum Zeltlager zu kehren. Der Abend ist hereingebrochen, Salik erzählt mir, dass es schon Mitternacht ist. Ich hatte keine Ahnung! Es ist schwierig, eine Zeitvorstellung zu haben, wenn die Sonne jede Nacht nur für zwei Stunden untergeht. Also krieche ich in meinen Schlafsack, während es draußen immer noch hell ist.
Heute ist mein letzter Tag im Fjord. Wir streifen durch die Gegend und besuchen eine abgeschiedene Schaffarm ganz in der Nähe. Sogar vor der Abreise macht sich schon die Nostalgie bemerkbar. Ich wäre so gerne länger im Tasermiut-Fjord geblieben. Salik empfängt eine Nachricht, dass das Boot uns in einer Stunde abholen wird. „Während wir warten, habe ich noch eine letzte kulinarische Überraschung für dich“, sagt Salik, während er eine Plastiktüte mit schwarzem Inhalt herausholt. Es sieht wie Lakritze aus. „Getrocknetes Robbenfleisch und Robbenblubber“, erklärt er fröhlich. Das scheint der perfekte Moment zu sein, um meine kleine Champagnerflasche zu öffnen. Wir nennen es Blubber & Prickelndes. Einige Fleischstücke sind zart, andere zäher. Als ich den Blubber probiere, bemerke ich, dass dies eigentlich eine Mundladung voll Fett ist. Salik liebt es – ich entscheide mich dafür, beim getrockneten Robbenfleisch zu bleiben. Während wir unseren Champagner austrinken, lassen wir die letzten erfolgreichen Tage Revue passieren. Und ich werfe einen letzten Blick auf den Tasermiut-Fjord.