Geisterstädte.
Der Begriff klingt furchterregend und spannend zugleich. Er regt sicherlich eure Fantasie an, die Gedanken etwas schweifen zu lassen. Welche Geschichten verbergen sich hinter diesen Orten – sind ihre Häuser tatsächlich verflucht – und warum wurden sie überhaupt verlassen?
In Grönland gibt es viele verlassene Orte und für ihre Aufgabe gibt es offensichtlich sehr unterschiedliche Gründe:
- Geografische Verschiebungen des Jagdreviers
- Vollständiger Abbau der natürlichen Mineralien
- Zwangsumsiedlungen aus militärstrategischen Gründen
- Wegzug der Arbeitskräfte an andere Orte
Die Grönländer bildeten ursprünglich ein nomadisches Volk, das seinen Nahrungsquellen folgte. Deshalb lebten wir häufig im Sommer und Winter an unterschiedlichen Orten.
Es gibt in Grönland auch verschiedene verlassene Bergbauorte, wo die umliegenden Siedlungen geschlossen wurden, als die Rohstoffe versiegten. Das sichtbarste Beispiel dafür bleibt Qullissat.
In ähnlicher Weise wurden die Bewohnerinnen und Bewohner der alten Siedlung Uummannaq/Dundas nach Qaanaaq zwangsumgesiedelt, als die Dänen den Amerikanern erlaubten, an diesem Ort eine Militärbasis zu errichten, die heutige Thule Air Base/Pituffik.
Letztendlich führte auch das Abwerben von Arbeitskräften dazu, dass einige Siedlungen geschlossen wurden. Dies war insbesondere der Fall, wenn Fischfabriken in nahen Städten gebaut wurden und Menschen aus anderen Siedlungen Arbeit boten.
Verlassene Orte bedeuten häufig einen großen Verlust für die dort früher lebenden Menschen. Gleichzeitig können sie eine wilde Schönheit aufzeigen. Es ist faszinierend, wie die Natur einen Ort zurückerobern und künstlich geschaffene Strukturen in sich einverleiben kann.
Werfen wir einen Blick auf einige der verlassenen Orte in Grönland. Dabei konzentrieren wir uns auf Orte, die ihr als Gäste auf verschiedene Weisen entdecken könnt, sei es via Boot oder Wanderung oder auf einer Kajaktour.
13 verlassene Orte in Grönland
In der Diskobucht
NAHE SISIMIUT
NAHE NUUK
IN SÜDGRÖNLAND
IN OSTGRÖNLAND
IN NORDGRÖNLAND
In der Diskobucht
Sermermiut
Sermermiut ist Grönlands bekanntester verlassener Ort aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zum Ilulissat-Eisfjord und seiner langen Inuitgeschichte. Diese reicht 4.500 Jahre zurück, als die frühen Inuitkulturen der Dorset und Thule Sermermiut besiedelten. Die Jagd war in diesem Gebiet aufgrund seiner Lage beim Eisfjord immer sehr erfolgreich, wo unterschiedliche Land- und Meerestiere zuhause sind.
Bei Sermermiut fanden 1952 zum ersten Mal Ausgrabungen statt und weitere dann noch einmal 1983, bei denen Zeugnisse vieler unterschiedlicher Kulturen gefunden wurden. Das Gebiet ist nun Teil der UNESCO-Welterberegion und ihr könnt es über einen hölzernen Spazierpfad erreichen. Am Ende dieses Holzstegs kommt ihr nach Nakkaavik, was „der Ort, wo du fällst” bedeutet. Der Name stammt aus einer Zeit, als sich die Alten aufgrund von Hungersnöten von einer Klippe stürzten. Nakkaavik war ein Schauplatz in der 4. Staffel der beliebten TV-Serie „Borgen”.
Qullissat
Qullissat ist bis heute ein großes Trauma für die grönländische Seele. Es war damals eine der größten Städte in Grönland, 1.400 Menschen lebten hier.
Die Stadt wurde 1924 als Kohlemine gegründet, welche bis 1972 in Betrieb war. Als es keine Kohle mehr zu fördern gab, schlossen die Behörden Schule, Geschäfte und alle anderen Einrichtungen, so dass die Menschen gezwungen waren, wegzuziehen und sich über die ganze Küste zu verteilen. Über tausend Menschen auf verschiedene Städte in einer Entfernung von 2.000 Kilometern zu verteilen, führte zu großem menschlichem Leid und sozialen Problemen.
Bekannte Bewohner waren Grönlands früherer Premierminister Kuupik Kleist und Aka Høegh, eine der anerkanntesten und beliebtesten Künstlerinnen Grönlands.
Ataa
Near Sisimiut
Assaqutaq
Assaqutaq ist eine weitere Siedlung, die verlassen wurde, als ihre Bewohner sich teilweise dafür entschieden hatten, zur Arbeitssuche in die größeren Städte wegzuziehen oder sie zu diesem Schritt gezwungen wurden. Heute könnt ihr hier die alte Kirche, die frühere Fischfabrik und verschiedene ehemalige Wohnhäuser entdecken. Der Friedhof ist ebenfalls einen Besuch wert.
Die pittoreske Siedlung wird heutzutage von den Schulen der Region als Sommercamp genutzt. Im Sommer erwacht Assaqutaq tatsächlich zu neuem Leben, wenn die Bewohner des nahen Sisimiut zum Fischen von Ammassat (Kapelan) herkommen. Zu dieser Zeit hat man auch gute Chancen, Buckelwale zu sehen, da diese Ammassat genau so gerne mögen, wie wir es tun.
NAHE NUUK
Qoornoq
Qoornoq ist eine verlassene Siedlung im Nuuk-Fjord. Sie erfreut sich heutzutage großer Beliebtheit bei den Nachfahren ihrer damaligen Bewohner und auch bei anderen, die gerne im Sommer hierher kommen.
Qoornoq gehörte auch zu jenen Siedlungen, die geschlossen wurden, weil ihre Bewohner an anderen Orten Arbeit fanden. Im Fall von Qoornoq zogen die Einwohnerinnen und Einwohner in die neugebauten Wohnblöcke in Nuuk und vielen von ihnen fanden Arbeit im neuen Fischverarbeitungsbetrieb.
Qoornoq liegt auf einer kleinen Insel im riesigen Fjordsystem und ist von Nuuk aus einfach auf einer Tagestour zu erreichen. Eine der interessantesten Hinterlassenschaften sind die Überreste einer kleinen Bahntrasse, die in den 1950ern genutzt wurde, um Fisch zum kleinen Hafen zu transportieren.
Kangerluarsoruseq (Færingehavn oder Nordáfar)
Kangerluarsoruseq oder Færingehavn (oder Nordáfar) ist eine verlassene Siedlung 50 Kilometer südlich von Nuuk. Die Siedlung wurde ursprünglich von Fischern von den Färöern gegründet und bis in die frühen 1990er genutzt. Der Ort ist heute ein Öllager, die letzte hier lebende Person zog aber 2009 fort.
Hier gibt es einen interessanten (dänischsprachigen) Link zum Bericht eines Besuchenden, der mit dem Boot von Nuuk aus unterwegs war:
Kangeq
Kangeq ist eine ehemalige Besiedlung der gleichnamigen Insel. Diese war früher als Haabets Ø (Die Insel der Hoffnung) bekannt, als der Kolonisator Hans Egede sich für sieben elende Jahre von 1721 bis 1728 hier niederließ. 1728 ging Hans fort und siedelte ins heutige Nuuk über.
Für Grönländerinnen und Grönländer ist Kangeq als der Geburtsort von Aron aus Kangeq bekannt, einem Jäger, Maler und Historiker. Er lebte von 1822-1869 und seine detailreichen Zeichnungen, Holzschnitte und Aquarelle zeigen uns bis heute, wie das Leben früher aussah.
Heute zieht Kangeq hauptsächlich an Geschichte interessierte Touristen an und war 2009 für den dänischen Film ,Das Experiment‘ Drehort für Nuuk.
IN SÜDGRÖNLAND
Old Narsaq
Old Narsaq ist direkt an der Grenze zu Narsaq zu finden, zwischen Stadt und Heliport. Hier findet ihr verschieden alte Ruinen einer früheren grönländischen Siedlung, bevor Narsaq 1830 zu einer Handelskolonie wurde. Einige der Ruinen stammen aber auch aus jüngerer Zeit, da bis ins 20. Jahrhundert hinein hier Menschen in Torfhäusern lebten.
Wenn ihr zur nahgelegenen Bucht Narsaq Kujalleq lauft und die Gegend um die Fischfabrik von Narsaq passiert, werdet ihr auch an Überresten altnordischer Höfe vorbeikommen.
Ivittuut
Wie Qullissat wurde diese kleine Stadt geschlossen, als die dazugehörige Mine keine Erträge mehr einbrachte. Das passierte 1987, nachdem die Mine seit 1856 in Betrieb war. Das begehrte Mineral war Kryolith, was bei der Herstellung von Aluminium verwendet wird. Während des 2. Weltkriegs war die Mine für die Amerikaner von großer Bedeutung (Hintergründe dazu findet ihr in unserem Artikel „Grönland war für Henrik Kauffmann das Ass im Ärmel”).
Ivittuut liegt nahe der heute ebenfalls aufgegebenen Flådestation Grønnedal oder Kangillinnguit, der früheren Kommandozentrale der dänischen Marine in Grönland (die 2012 nach Nuuk übersiedelt wurde). Die große Mine von Ivittuut wurde mit Wasser aufgefüllt, um zu verhindern, dass Menschen in das sehr tiefe Loch hineinfallen könnten. Die letzten beiden Familien verließen Ivittuut im Jahre 2000.
In der Gegend um Ivittuut können viele seltene Mineralien gefunden werden und ganz in der Nähe liegt der Ikka-Fjord mit seinen einzigartigen Unterwasser-Stalagmiten.
Das Krankenhaus-Tal bei Narsarsuaq (Bluie West 1)
Der Legende nach wurde ein riesiges Krankenhaus in Narsarsuaq einfach über Nacht verlassen. Dabei sollen mit Essen belegte Teller auf den Tischen zurückgelassen worden sein, wie wir es nur aus Filmen kennen. Während und nach dem 2. Weltkrieg errichteten die Amerikaner mehrere große Militärstützpunkte in Grönland. Während des Kriegs war Bluie West 1, wie die Basis bei Narsarsuaq genannt wurde, die größte Stadt in Grönland. In den frühen 1950ern wurde im damals so genannten Krankenhaus-Tal auch ein großes Krankenhaus errichtet (heute nennen wir das Tal Blumental). In Narsarsuaq schwelgen wir aber noch in den Spukgeschichten über diesen Ort.
Heute ist nur noch ein großer Schornstein übriggeblieben.
IN OSTGRÖNLAND
Ikkatteq (Bluie East Two)
Jemand mit Sinn für Ironie betitelte den Abfall des amerikanischen Militärflugplatzes Bluie East Two, welcher die Umgebung bis heute verschmutzt, einmal als „American Flowers”. Als Air Base war Bluie East Two nie von großer Bedeutung und trotzdem schafften die Nutzer dieser Air Base es, etwa 200.000 Ölfässer zurückzulassen, welche die Gegend für Jahrzehnte verunreinigt haben. Eine große Reinigungsaktion findet aktuell statt. Mehrere Historiker und lokale Tourenanbieter sprechen sich dafür aus, einige der Ölfässer als Zeugnis der Geschichte dieser Gegend an ihrem Platz zu lassen.
Skjoldungen (Saqqisikuik)
Saqqisikuik oder Skjoldungen war eine Siedlung an der Ostküste Grönlands, die heute als Öllager und Fischgrund genutzt wird. Außerdem kommen die Leute aus Tasiilaq hierher, um Engelwurz (Angelica) zu pflücken. Die Umgebung ist von fast schon surrealer Schönheit. Das Gebiet ist üppig bewachsen mit turmhohen Gipfeln drumherum. Es wurde mehrere Male besiedelt, zum letzten Mal von den 1930ern bis 1964, als die Einwohner umgesiedelt wurden. Dies geschah hauptsächlich aufgrund des politischen Willens, die Bewohner Grönlands in größeren Städten zu konzentrieren.
Jedoch gibt es ein großes „Aber” zu dieser offiziellen Geschichte, weil es angeblich verschiedene Sichtungen einer ursprünglich lebenden, aber vergessenen Inuitgemeinschaft in dieser Gegend gegeben haben soll.
IN NORDGRÖNLAND
Dundas/Umanak
Als die Thule Air Base 1952/1953 erbaut wurde, wurden die Menschen aus Pituffik und dem nahgelegenen Umanak/Dundas aus ihren Häusern vertrieben (und von den hervorragenden Jagdgründen dort). Eine neue Stadt mit 27 Häusern, Qaanaaq, wurde für die Menschen erbaut, die Stadtplanung entsprach dem amerikanischen Rastersystem. Diese Umsiedlung ist für die Betroffenen bis heute eine traumatische Erfahrung und hat für die Menschen aus Dundas zu einem langen juristischen Kampf geführt.
Pituffik war außerdem Stätte der originalen Handelsstation, die von den Polarforschern Knud Rasmussen und Peter Freuchen 1910 gegründet wurde.
Artkel von Jesper Kunuk Egede